Das Great Game des 21. Jahrhunderts
Von Barbara Unmüßig
Der Artikel ist erschienen in: "Forum Umwelt und Entwicklung – Rundbrief 4/2007" (S. 3-4)
Die weltweite Suche nach wertvollen Rohstoffen aller Art ist nicht Neues. Sie hat aber eine neue Dimension erreicht: Die Suche und Ausbeutung von Roh¬stoffen findet heute auch in den entlegensten Winkeln der Erde statt, weil vielerorts leichter zugängliche Ressourcen erschlossen bzw. erschöpft sind und die gestiegenen Rohstoffpreise auch aufwändigere Erschließung ökonomisch durchaus wettbewerbsfähig machen.
Außerdem haben die Industrieländer, die seit Jahrhunderten ein Privileg auf die Ausbeutung von Rohstoffen genießen, neue „Wettbewerber“ bekommen. Insbesondere die Schwellenländer treten als neue Akteure im weltweiten Run auf Erdöl, Erdgas, mineralische und landwirtschaftliche Rohstoffe auf. Der Wettbewerb um die ökonomisch lukrativen Erdölquellen in Afrika und rund um das Kaspische Meer ist längst in vollem Gange. Erdöl, Coltan, Edelhölzer oder Kupfer, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, bedienen nach wie vor die Nachfrage einer globalen wohlhabenden Minderheit.
Die geopolitische Diversifizierung des Nachschubs steht längst auf der Tagesordnung von Regierungen und multinationalen Konzernen. Das trifft vor allem für die Erdöl- und Erdgasquellen und ihre Transportrouten zu. In Afrika, Lateinamerika, am Persischen Golf oder rund ums Kaspische Meer stecken Regierungen und die Erdölkonzerne mit Milliardensummen für Exploration, Konzessionen und Erschließung ihre Claims ab. China betrachtet seine Nachbarländer in Ost- und Südostasien längst als unmittelbare Rohstofflieferanten für seine (exportorientierte) Ökonomie und kauft sich überall auf der Welt und wo immer möglich in langfristige Konzessionen aller Arten von Rohstoffen ein.
Wege aus der fossilen Falle?
Endlich ist der globale Klimawandel und seine katastrophalen Folgen für Mensch und Natur zurück auf der politischen internationalen Agenda und in den meisten Ländern in der öffentlichen Debatte. Nur, machen wir uns nichts vor: Der Weg aus der globalen fossilen Falle hat noch nicht mit den notwendigen und drastischen Schritten begonnen. Weltweit werden knapp 80 Prozent der gesamten Primärenergie durch Verbrennung fossiler Brennstoffe gewonnen. Der Löwenanteil liegt bei Erdöl, gefolgt von Kohle und Erdgas. Und die weltweite Nachfrage nach Öl und Gas wird nicht so schnell nachlassen – nicht durch die Industrieländer. Und der rasante wirtschaftliche Aufstieg Chinas und Indiens wird den Druck auf die Ausbeutung von Öl, Gas und Kohle und den Hunger nach natürlichen Ressourcen wie Mineralien oder Holz weltweit befeuern. Auch Afrika mit seinem großen Reichtum an natürlichen Ressourcen ist nun als letzter Kontinent im Visier derjenigen, die nach neuen Rohstoffquellen suchen.
Die derzeitigen globalen Investitionsmuster sind hier alles andere als Hoffnung dafür, dass die globale Rohstoffausbeutung der fossilen Ressourcen nachlassen könnte. Der derzeitige Trend läuft weiterhin in Richtung einer kohlenstoffintensiven Infrastruktur. Den Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) zu Folge sollen allein zwischen 2004 und 2030 sage und schreibe 20 Billionen US-Dollar (!) in die Deckung der globalen Energienachfrage fließen. Der jüngste Human Development Report hält dazu fest, dass der größte Teil dieser Summe für die weitere Ausbeutung fossiler Ressourcen gedacht ist und damit jenseits jeglicher sozialer und ökologischer Nachhaltigkeitskriterien liegt.
Ohne globale Trendumkehr bei diesen Investitionen – sie müssen zuvörderst in eine weltweite und umfassende Energierevolution fließen – werden wir mitnichten das Klimaproblem in den Griff bekommen. Die Einbettung und Verknüpfung des Ressourcenthemas mit dem Klima- und Energiethema muss für alle politisch Handelnden selbstverständlich werden.
Herausforderungen im Rohstoffsektor
Jenseits des dringlichen und massiven Rückbaus der fossilen Energieträger im gegenwärtigen globalen Energiemix ist es eine weitere drängende und politisch zu bearbeitende Frage, unter welchen ökonomischen, politischen, sozialen und ökologischen Bedingungen Ressourcen genutzt und abgebaut werden und als Quelle für die ökonomische Entwicklung der exportierenden Länder dienen können.
Im 21. Jahrhundert steht gerade der Rohstoffsektor vor mannigfaltigen Herausforderungen, die eng miteinander verknüpft sind: Klimawandel, gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen (Handels- und Investitionsströme, Peak Oil, hohe Rohstoffpreise), soziale und ökologische Folgekosten der Ausbeutung von Ressourcen (Vertreibung, Verseuchung der Böden) sowie Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Konflikte.
Soziale Ungleichgewichte und Umweltschäden
Trotz ihres Reichtums an natürlichen Ressourcen nimmt die Armut in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu. Viele Untersuchungen der letzten Jahre kommen zu ernüchternden Befunden: Länder, für die der Export von Erdöl und Erdgas volkswirtschaftlich bedeutend ist, gehören gleichzeitig zu den hochverschuldeten armen Ländern und rangieren auf den untersten Rängen des „Human Development Index“ des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Hohe private Gewinne und staatliche Einnahmen haben vielfach keinerlei armutsreduzierende Wirkung. Der Rohstoffsektor ist vielfach technologieintensiv und wenig beschäftigungswirksam. Makroökonomische Ungleichgewichte werden erhöht und die Abhängigkeit von schwankenden Rohstoffpreisen vertieft. Deviseneinnahmen verschwinden häufig in schwarzen Kassen einiger weniger. Die Korruption im Erdölsektor ist beinahe schon Legende. In Angola – so Schätzungen – finden sich bis zu 30 Prozent der Öleinnahmen unverbucht in dunklen Kanälen.
Kurz- und langfristige Umweltschäden sind ein weiteres gravierendes Problem. Tiefe Eingriffe in die Natur (Wasserverschmutzung durch Schwermetalle oder Erdöl, der Verlust biologischer Vielfalt usw.) zerstören die Lebensgrundlagen lokaler Bevölkerungen und verschärfen ihrerseits die Armut.
Rohstoffpolitik nachhaltig gestalten
Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen als zentraler Bestandteil unseres Wohlstands- und Entwicklungsmodells muss durch eine Dekarbonisierung und eine weniger materialintensive Lebens- und Produktionsweise massiv reduziert werden. Gleichzeitig wäre es jedoch eine Illusion zu glauben, dass dies schnell, gerecht und vollends demokratisch geschehe. Deshalb ist es konsequent, dass immer mehr NGOs, manche multilaterale Organisation und Regierungen sowie einige Wirtschaftsunternehmen darüber nachdenken, wie Rohstoffpolitik ökologisch und sozial nachhaltiger, fair und transparent gestaltet werden kann. Dafür entscheidend wird sein, Einfluss darauf zu nehmen, wie die Kontrakte zur Ressourcenausbeutung verhandelt werden und wie die wirtschaftlichen Erträge aus der Nutzung umverteilt werden. Ob Ressourcennutzung Armut beseitigen hilft und ob sie demokratische Teilhabe befördert und Konflikte verhindert oder im Gegenteil politische Instabilität, Krieg und Unsicherheit befördert, ist eine Frage der politischen Machtverhältnisse, die es zugunsten demokratischerer Prozesse zu beeinflussen gilt.
Wir wissen alle: Korruption in großem Maßstab von der Vergabe der Konzessionen bis hin zur Verwaltung und Verteilung der Renteneinnahmen ist nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel. Für viele rohstoffreiche Länder des Südens entscheiden sich in diesem Sektor Kernfragen der Demokratie. Angesichts begrenzter Ressourcen und wachsender Nachfrage geht es um „Haben und Nichthaben“ und darum, wie sich Rohstoffausbeutung mit Ökologie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit überhaupt in Einklang bringen lässt.
Afrika: Der letzte "Emerging Continent"
Dies gilt aktuell und ganz besonders für die Länder Subsahara-Afrikas. Afrika will endlich Teil der Welt-Ökonomie sein. Es hat viele Ressourcen und ist der letzte „Emerging Continent“. Rentenökonomien haben Afrika lange und ausschließlich charakterisiert. Die Folgen waren und sind politische Instabilität, Armut und Kriege, die die afrikanischen Bürger tragen. Ob die neuen Investitionen in die Rohstofferschließung und Infrastruktur, wie sie derzeit zahlreiche afrikanische Länder erleben, diesen Ländern oder gar dem ganzen Kontinent einen Sprung auf der ökonomischen Leiter, in der Armutsbeseitigung und in einer friedlichen und demokratischen Entwicklung bescheren werden, ist die große politische Herausforderung für alle involvierten Akteure.
Was ist zu tun?
Generell gilt, dass:
- Regierungen in Entwicklungsländern endlich politische Verantwortung übernehmen. Sie müssen ihren Bürgern Rechenschaft ablegen, wo die wirtschaftlichen Gewinne aus der Ressourcenausbeutung bleiben und wie sie für soziale Entwicklung und Armutsabbau eingesetzt werden. Demokratische Kontrolle ist bitter nötig, damit politische Macht nicht der Absicherung der wirtschaftlichen Eigeninteressen dient, wie dies leider in vielen Ländern nach wie vor der Fall ist. Bis heute ist es in vielen Ländern lebensgefährlich, sich für mehr Transparenz und Demokratie einzusetzen. Zivilgesellschaftliche Akteure arbeiten häufig unter sehr schwierigen und gefährlichen Bedingungen; sie brauchen unsere Solidarität und Unterstützung.
- Politische und ökologische Verantwortung müssen vor allem die alten und neuen Investoren der Rohstofferschließung und –ausbeutung übernehmen. Es ist daher eine der wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre, dass sich die traditionellen Rohstoffnachfrager (vor allem Europa; Japan und die USA) und neue Akteure wie China oder Indien mit den Rohstoffexporteuren auf gemeinsame ökologische und soziale Regeln und Standards sowie auf mehr Transparenz und Verantwortung bei Investitionen in den Ressourcensektor verständigen. Die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) und die internationale Kampagne „Publish What You Pay“ sind hier erste Ansätze, die es zu unterstützen und auszubauen gilt.
- Multinational agierende Erdöl- und Erdgasunternehmen, Bergbau- und Holzfirmen und vor allem die privaten und öffentlichen Finanzinstitutionen sowie die staatlichen Exportkreditagenturen brauchen politische Vorgaben und klare ökologische und Transparenzregeln. Hinter jedem korrupten Deal im Ressourcensektor steht Geld, in der Regel eben eine Bank. Auch hier reichen die vielen positiven Ansätze der Entwicklung freiwilliger Standards unter Privatbanken nicht aus.
Schließlich brauchen wir eine viel breitere zivilgesellschaftliche Debatte, um politische Lösungen rund um die Ressourcenprobleme voranzutreiben. Die zivilgesellschaftlichen Perspektiven für eine verbesserte ökologische, verteilungsgerechte und transparente Ressourcenpolitik müssen gestärkt und politische Lösungsvorschläge in die öffentliche Debatte eingebracht werden. Die rund um den G8-Gipfel in Deutschland sichtbaren Vernetzungsansätze deutscher und internationaler NGOs jedenfalls sind noch ausbaufähig.